Inschriften sind überlieferungswürdig.

Diese banale Wahrheit ist keineswegs eine Erfindung der modernen Wissenschaft. Die epigraphischen Großprojekte, wie „Corpus Inscriptionum Latinarum“ oder „Die Deutschen Inschriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit“ haben das Sammeln und Bearbeiten solcher Texte systematisiert und wissenschaftlich geformt, der Ursprung dessen kann aber mehrere hundert Jahre früher beobachtet werden. Bereits im Spätmittelalter setzte eine Entwicklung ein, die inschriftlichen Texten eine Bedeutung beimaß, diese sammelte und in teils umfangreichen Drucken der Nachwelt zur Verfügung stellte. Eine gewichtige Rolle spielten hierbei die humanistischen Gelehrten des 16. Jahrhunderts. Besonders die Arbeit an den Bänden der „Deutschen Inschriften“ zeigt allerdings auch, dass Sammlungen nicht nur im Umfeld humanistischer Gelehrter entstanden, sondern sich im Laufe der Frühen Neuzeit immer weitere Personenkreise, wie Geistliche, Bürger oder Ratsangehörige aufmerksam durch „ihre“ Städte, Kirchen und ländlichen Räume bewegten und inschriftliche Texte von Grabmälern, Hausfassaden oder Eingangsportalen abschrieben. Die Überlieferung ist außerordentlich vielfältig und in der Forschung noch nicht in umfassendem Maße abgebildet.

Der geplante Sammelband soll gedruckte und handschriftliche Inschriftensammlungen ab dem 15./16. Jahrhundert daher in ihrer Gesamtheit in den Blick nehmen. Ziel des Projekts ist es, einen Überblick zur Entstehung, zum Kontext und zur Bedeutung der Inschriftensammlungen sowie zu den Sammlern zu erarbeiten. Der Band soll den Beginn tiefgreifender Forschungen mit dem Thema bilden. Geplant ist eine Veröffentlichung als Themenheft im „Archiv für Epigraphik“ für den Jahrgang 2026 als Online-Format. Mit diesem Aufruf wird für ein Einreichen entsprechender Beiträge geworben. Das Projekt versteht sich dabei ausdrücklich als epochenübergreifend, es soll nicht zwischen antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Inschriften unterschieden oder getrennt werden.

Als Leitfragen werden vorgeschlagen: Wann entstehen solche Sammlungen und in welchen Kontexten? Gibt es regionale zeitliche Unterschiede? Wer sind die Sammler? Welchen biographischen Hintergrund haben sie? Welche Arten von Texten werden aufgeschrieben (inhaltlich, sprachlich)? In welchem Umfang wurde gesammelt? Galt das Interesse vorrangig repräsentativen Objekten oder verzeichnete man die Überlieferung ganzheitlich? Verfasste man reine Sammlungen oder integrierte man Nachweise in anderen Gattungen, wie bspw. Chroniken? Wie wurden die Texte übertragen, in einer einfachen inhaltlichen Wiedergabe oder versuchte man Inschrift und Träger in ihrer Gestaltung abzubilden (Nachahmung der Schriftart; Umzeichnung des Trägers)? Wie glaubwürdig bzw. zuverlässig sind die Kopisten? Nahm man die Objekte selbst in Augenschein oder schrieb man andere Kopisten ab? Handelt es sich um für die Öffentlichkeit bestimmte Drucke oder um archivalisch überlieferte Handschriften aus Nachlässen? Welche Bedeutung haben Kopisten für die heutige Kenntnis inschriftlicher Überlieferung in einer Region oder an einem Ort bzw. in welcher Weise haben sie die Überlieferung geprägt und beeinflusst?

Um Themenvorschläge wird bis zum 31. August 2025 gebeten; um die verschriftlichten Beiträge bis zum 30. April 2026. Beiträge können inhaltlich aus dem gesamten europäischen Forschungsraum eingereicht werden; als Wissenschaftssprachen wird um Deutsch oder Englisch gebeten.